VBE fragt nach: Sprachkompetenz nach Delfin 4
28.01.2010
Lehrkräfte vermissen die versprochene Entlastung

Lehrkräfte vermissen die versprochene Entlastung

Im November 2009 stellten das Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration (MGFFI) und das Ministerium für Schule und Weiterbildung (MSW) gemeinsam die Ergebnisse der diesjährigen Sprachstandsfeststellung in NRW vor. Landesweit wurde demnach bei 24,0 % der Kinder, die im Schuljahr 2011/12 eingeschult werden, ein zusätzlicher pädagogischer Sprachförderbedarf festgestellt. Dabei gibt es große Abstände zwischen den Zahlen, die die einzelnen Schulämter bekannt gegeben haben. So lagen die Ergebnisse z. B. in Remscheid mit 38,8 % und im Kreis Höxter mit lediglich 12,0 % auffallend weit auseinander.

In NRW wurden erstmalig im Jahr 2007 Kinder zwei Jahre vor der Einschulung mit dem zweistufigen Kurzscreening Delfin 4 (Diagnostik, Elternarbeit und Förderung der Sprachkompetenz Vierjähriger in NRW) auf ihren Sprachstand hin überprüft. Bereits den ersten Durchlauf des verpflichtenden Verfahrens begleitete der VBE mit einer breit angelegten Umfrageaktion. Mit Blick auf die Sprachstandsfeststellung haben wir damals neben dem Testinstrument selbst vor allem den Aufwand des Verfahrens, den entsprechend hohe Unterrichtsausfall in den Schulen und die unzureichende Beteiligung der Erzieherinnen kritisiert.

In gewohnter Hartnäckigkeit blieb der VBE am Ball und fragte im Oktober 2009 bei den Grundschulen in NRW nach, wie sich die zusätzliche Sprachförderung in den Kindertageseinrichtungen auf die Arbeit in den Eingangsklassen auswirkt. Die Frage, ob das eigentliche Ziel, „die Verbesserung der Sprachkompetenz bereits im vorschulischen Bereich“ (KMK-Beschluss 2001) in NRW erreicht wurde, hatte eine hohe Resonanz: 1761 auswertbare Fragebögen lagen dem VBE bis Ende November vor (1600 davon enthielten Aussagen zu Klassen mit Kindern mit nichtdeutscher Herkunftssprache). Die Ergebnisse der Abfrage lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Das im Jahr 2007 vom MGFFI und MSW gemeinsam formulierte Ziel „Alle Kinder sollen vom ersten Schultag an die Unterrichtssprache Deutsch altersgemäß beherrschen“, ist noch längst nicht erreicht. 64,5 % der Befragten geben an, dass nicht alle Kinder der ersten Jahrgänge altersgemäße Kenntnisse der deutschen Sprache haben. Im Vergleich mit den Jahrgängen, die keine zusätzliche Sprachförderung erhalten haben, stellen mit Blick auf Kinder mit nicht-deutscher Herkunftssprache eine Mehrheit von 51,4 % keine Verbesserungen fest. Bei den Kindern mit Deutsch als Erstsprache sind es sogar 77,1 % der Befragten, die nach Delfin 4 keine Verbesserung im sprachlichen Bereich wahrnehmen. Eine Bilanz, die ernüchtert. Die seit 2007 häufig gestellte Frage, ob der Aufwand der Sprachstandsfeststellung in einer vertretbaren Relation zum Nutzen steht, ist damit relevanter denn je.

Der VBE plädiert erneut und mit aller Dringlichkeit dafür, das Sprachstandsfeststellungsverfahren in erster Linie an seiner Förderwirkung zu messen. Genau hier zeichnet sich aber in NRW eine deutliche Schieflage ab. Die Landesregierung und die zuständigen Ministerien nutzen das Sprachstandsfeststellungsverfahren Delfin 4 öffentlichkeitswirksam als bildungspolitisches Aushängeschild und feiern sich im Ranking der Bundesländer als Vorreiter. Die versprochene und notwendige Sprachförderung kommt bei den Kindern jedoch gar nicht an. So ist es z. B. mehr als paradox, dass den Kindertageseinrichtungen für ein Kind mit festgestelltem zusätzlichem Sprachförderbedarf 340,- € im Jahr zur Verfügung gestellt werden, gleichzeitig aber z. T. massive personelle Kürzungen durch das neue Kinderbildungsgesetz (KiBiz) eine professionelle Sprachförderung unmöglich machen. Eine Erzieherin fasst das Dilemma so zusammen: „Wir konnten für unsere kleine altersgemischte Gruppe nun zwar Sprachspiele kaufen, der Einsatz des Materials ist aber schwierig, da wir seit KiBiz eine Kollegin weniger in dieser Gruppe haben.“ Erschwert wird die Förderung in den Kindertageseinrichtungen auch dadurch, dass die differenzierten Ergebnisse des Sprachtests aus Gründen des Datenschutzes in den Schulen verbleiben müssen und folglich nicht als Grundlage für die Förderung genutzt werden können.
In den Grundschulen fragt man sich parallel, ob es richtig sein kann, dass im November bei der Schulanmeldung der Sprachstand der Kinder erneut überprüft wird, ohne dass es irgendeine zusätzliche Ressource für die dabei  empfohlene Förderung gibt.

Delfin 4 wird seinem Anspruch „Diagnostik, Elternarbeit und Förderung der Sprachkompetenz Vierjähriger in NRW“ auch fast drei Jahre nach seiner Einführung bei Weitem nicht gerecht. Der VBE wird sich vehement dafür einsetzen, dass nun endlich die tatsächliche Verbesserung der Sprachkompetenz in den Fokus der Bildungspolitik gelangt.
Wir bedanken uns bei allen Kolleginnen und Kollegen, die durch die Teilnahme an der Umfrage einen Beitrag dazu geleistet haben.

Fokus vorschulische Sprachförderung / Der VBE fordert:
• vorschulische Sprachstandsfeststellung und Sprachförderung institutionell nicht zu trennen und in die Zuständigkeit der Kindertageseinrichtungen zu geben,
• eine bessere personelle Ausstattung der Kindertageseinrichtungen, um Sprachentwicklungsprozesse in den wichtigen ersten vier Jahren präventiv zu begleiten,
• einen kindgerechten, ganzheitlichen Ansatz für vorschulische Sprachförderung im Gesamtkontext der kindlichen Entwicklung,
• eine deutliche Verbesserung der personellen und finanziellen Grundlage für eine professionelle kompensatorische Sprachförderung,
• Investitionen in die Qualifizierung von Erzieherinnen und Erziehern,
• eine wissenschaftliche Überprüfung der Wirksamkeit der Sprachförderung,
• die Kooperation mit Fachleuten für kindliche Sprachentwicklung (Logopäden, Sprachtherapeuten), um pädagogische und therapeutische Sprachförderung zu koordinieren,
• die Aufstockung der personellen Ressourcen in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen für nachhaltige Kooperationsstrukturen und -modelle,
• die Klärung datenschutzrechtlicher Bedenken zur Absicherung des Dialoges von Kindertageseinrichtungen und Grundschulen,
• Ressourcen für die Intensivierung von Erziehungspartnerschaften und Elternberatung in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen,
• die Abschaffung der Elternbeiträge für Kindertageseinrichtungen.

Ergebnis der VBE-Umfrage zu Delfin 4
Auswertbare Fragebögen: 1.761 (1.600 Rückmeldungen von Klassen mit Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache)
Nachfolgend sind die zu beantwortenden Fragen und die Ergebnisse dargestellt:

Frage 1:
Die an den Sprachstandsfeststellungen beteiligten Ministerien (MSW und MGFFI) formulierten im Jahr 2007 für die zusätzliche Sprachförderung das folgende Ziel: „Alle Kinder sollen vom ersten Schultag an die Unterrichtssprache Deutsch altersgemäß beherrschen.“
Beherrschen alle Kinder Ihres 1. Jahrgangs die Unterrichtssprache Deutsch altersgemäß?
Ergebnis: 35,5 % = Ja  / 64,5 % = Nein

Frage 2:
Stellen Sie bei Kindern mit nicht-deutscher Herkunftssprache Verbesserungen im Vergleich zu den Jahrgängen fest, die keine zusätzliche Sprachförderung erhalten haben?
Ergebnis: 51,4 % = Ja  / 48,6 % = Nein

Zu Frage 2:
Von den 51,4 %, die bei Kindern mit nicht-deutscher Muttersprache Verbesserungen feststellen, stellen 80,6 % im Bereich Verstehensfähigkeit Verbesserungen fest, 65,4 % im Bereich Wortschatz und 18,6 % im Bereich Grammatik.
Dass man hierbei nicht auf 100 % kommt, erklärt sich durch die Doppelnennungen.

Frage 3:
Stellen Sie bei Kindern mit Deutsch als Erstsprache Verbesserungen im Vergleich zu den Jahrgängen fest, die keine zusätzliche Sprachförderung erhalten haben?
Ergebnis: 22,9 % = Ja  / 77,1 % = Nein

Zu Frage 3:
Von den 22,9 %, die bei Kindern mit Deutsch als Erstsprache Verbesserungen feststellen, stellen 64,1 % Verbesserungen im Bereich Verstehensfähigkeit, 65,8 % im Bereich Wortschatz und 30,9 % im Bereich Grammatik fest.
Auch hier gilt das oben Genannte (Doppelnennungen).

Foto: Hjalmar Brandt
Schule heute

Ausgabe Juli + August 2017

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E[LAA]N

Ausgabe 64


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