Anmerkungen zur Inklusionsdebatte
25.02.2013

Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention stellt Schulen vor erhebliche Herausforderungen. In der Inklusionsdebatte sind bis jetzt keine Perspektiven erkennbar, die darstellen, wie die Umsetzung der Inklusionsidee mit Sicherheit gelingen könnte. Umgekehrt kann man prognostizieren, dass sie ganz sicher nicht gelingen wird, wenn eine Reihe von Unklarheiten, Fehlannahmen und Nachlässigkeiten nicht beseitigt werden.

Jörg Schlee (Oldenburg), Vortrag VBE-Forum, didacta 2013 

Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention stellt Schulen vor erhebliche Herausforderungen. In der Inklusionsdebatte sind bis jetzt keine Perspektiven erkennbar, die darstellen, wie die Umsetzung der Inklusionsidee mit Sicherheit gelingen könnte. Umgekehrt kann man prognostizieren, dass sie ganz sicher nicht gelingen wird, wenn eine Reihe von Unklarheiten, Fehlannahmen und Nachlässigkeiten nicht beseitigt werden.

Wenn Vorhaben und Maßnahmen gelingen sollen, dann reicht es nicht aus, wenn beteiligte Personen die Ärmel hochkrempeln, in die Hände spucken und sich unter großem Engagement beherzt ans Werk machen. Um sachgemäß handeln und sich untereinander verständigen zu können, brauchen die Beteiligten klare und eindeutige Vorstellungen davon, „was Sache ist“ und was sie eigentlich erreichen wollen. Der Inklusionsbegriff ist jedoch vieldeutig und unklar. Personen, die mit diesem Begriff arbeiten und sich für die Inklusionsidee engagieren (wollen), verstehen oft Unterschiedliches darunter. Noch unklarer wird die Bedeutung, wenn man aus dem Substantiv »Inklusion« das Adjektiv oder das Adverb »inklusiv« oder das Verb »inkludieren« ableitet.

Wie die Alltagserfahrung zeigt, können Vorhaben nicht erfolgreich geplant, durchgeführt und abgeschlossen werden, wenn man für sie keine klaren und eindeutigen Ziele hat. Zu der Bedeutungsunklarheit des Inklusionsbegriffs gesellt sich die Unklarheit der Ziele. Was also soll genau durch Inklusion erreicht werden? In dem in Großbritannien entwickelten und von Boban & Hinz (2003) auf deutschsprachige Verhältnisse übertragenen »Index für Inklusion« werden der Inklusion in Erziehung und Bildung nicht nur viele, sondern auch unterschiedliche und ungenaue Zielvorstellungen zugeschrieben. Durch diese Vielzieligkeit wird sowohl eine Orientierung als auch die Auswahl geeigneter Mittel und Methoden erschwert. Je mehr „gute Absichten“ dem Index für Inklusion zugefügt werden, desto mehr steigt seine Unverbindlichkeit. Zugleich erhält die Inklusionsidee dadurch immer mehr den Charakter einer allgemeinen Weltbeglückungsidee. Derartige Beglückungskonzepte haben – einerlei ob sie religiös, politisch oder pädagogisch begründet wurden – bislang immer mehr Schaden, Diffamierung und Unglück als Zufriedenheit und einträgliches Beieinander in die Welt gebracht.

Für Pestalozzi war es wichtig, dass in der Pädagogik Kopf, Herz und Hand im Einklang stehen. Die Inklusionsdebatte wird bislang vorwiegend durch das „Herz“, also durch sehr engagierte Beiträge bestimmt, die nicht selten mit hohen moralischen Ansprüchen durchtränkt sind. Und das ist gut so! Denn ohne Engagement und ohne ethische Orientierung kann Pädagogik nicht gelingen. Doch Pestalozzi würde vermutlich fordern, dass es an der Zeit ist, in der Inklusionsdebatte nun auch dem „Kopf“ das notwendige Gehör zu verschaffen. Dazu würde es gehören, bei der Suche nach den angemessenen Gelingensbedingungen sich die unterschiedlichen inneren Logiken von Personen, von Personengruppierungen, von Aufgabenstellungen und Zielforderungen, von Orten und Räumen, von Zeitkontingenten und zeitlichen Abläufen zu verdeutlichen und miteinander in Einklang zu bringen. Ferner müsste die Inklusionsdebatte von einer Reihe von Fehlannahmen und (begrifflichen) Nachlässigkeiten befreit werden.

Foto: Hjalmar Brandt
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