Schulgesundheitsfachkräfte in Deutschland
28.03.2017

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte und der Verband Bildung und Erziehung rufen zusammen dazu auf, Schulgesundheitsfachkräfte in Deutschland einzuführen. 

Schulgesundheitsfachkräfte

*BVKJ und VBE haben sich auch an das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen gewandt. Im Folgenden werden die aktuellen Entwicklungen erläutert und die daraus abgeleiteten Forderungen vorgestellt.

1. Entwicklung: Steigende Erkrankungsraten mit chronischen Krankheiten

In der KiGGS-Studie wurde evident, dass die Prävalenz chronischer Erkrankungen zugenommen hat.

Die Deutsche Diabeteshilfe bilanziert, dass sich die Zahl der Typ-2-Diabtes- Neuerkrankungen bei Jugendlichen in den letzten Jahren verfünffacht habe. Zudem prognostizieren sie bis zum Jahr 2020 eine Verdopplung der Diabetesinzidenz bei Kindern im Alter unter fünf Jahren.

Kindern mit chronischen Erkrankungen sollte der Schulbesuch ermöglicht werden. Chronisch Kranke benötigen neben dem ggf. diagnostizierten Förderbedarf in einem oder mehreren Förderschwerpunkten Assistenz zur Medikamentengabe. Aufgrund der steigenden Erkrankungsraten kann nicht länger von Einzelfällen gesprochen werden.
Statistisch gesehen sind an jeder Schule Betroffene zu finden.

Der BVKJ und der VBE fordern: Der Staat muss Sorge dafür tragen, dass Kinder mit chronischen Erkrankungen die Schule besuchen können. Aus diesem Grund ist durch den Staat eine medizinische Grundversorgung an der Schule durch Schulgesundheitsfachkräfte zu etablieren und zu finanzieren.

2. Entwicklung: Verwirklichung der Inklusion an Schulen – Provokation einer Freiwilligkeitsfalle

In den einzelnen Bundesländern, zwar in unterschiedlicher Geschwindigkeit und Relevanz, wird im ganzen Bundesgebiet der Ausbau inklusiver Beschulung vorangetrieben. Inklusion bedeutet auch, dass Kinder, die bisher an Förderschulen medizinische Assistenz erhalten haben, diese nun zunächst nicht mehr erhalten. Die jeweiligen Schulgesetze regeln in unterschiedlicher Weise die Bestimmungen zur Assistenz der Medikamentengabe, teilweise ergänzt durch Handreichungen, die (zum Beispiel in NRW) explizit nur als Empfehlung verstanden werden wollen.

Eltern von Schülerinnen und Schülern mit akuten oder chronischen Beschwerden wenden sich an die Lehrkräfte, um wegen einer Assistenz zur Medikamentengabe zu fragen. Die Lehrkraft hat die Möglichkeit, dieser Bitte nicht nachzukommen, sieht sich dann aber ggf. mit den Eltern konfrontiert. Im Zweifelsfall wird die Lehrkraft der Bitte also nachkommen – und zwar rechtlich nicht ausreichend abgesichert und auf Kosten der eigenen Arbeitszeit aufgrund einer weiteren Aufgabe.

Der BVKJ und der VBE fordern: Inklusion muss zu Ende gedacht werden. Die Politik darf die Verantwortung nicht einfach auf die Lehrkräfte abschieben, welche aufgrund der Anspruchshaltung von Eltern in eine „Freiwilligkeitsfalle“ geraten. Medizinische Assistenz sollte von dafür ausgebildetem Personal durchgeführt werden. Schulgesundheitsfachkräfte haben die entsprechende Ausbildung für die Ausführung dieser Aufgabe.

3. Entwicklung: Bessere Gesundheitschancen, aber gesundheitsschädigende Verhaltensweisen

In der 2012 veröffentlichten Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu sozialen Determinanten von Gesundheit und Wohlbefinden junger Menschen wird herausgestellt, dass die Gesundheitschancen und Entwicklungsmöglichkeiten zwar besser als je zuvor seien, sich viele junge Menschen durch Verhaltensweisen wie Rauchen und ungesunde Ernährung aber gesundheitsbeeinträchtigend verhalten.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung bekräftigt diese Einschätzung und ergänzt, dass sich gesundheitsgefährdende Verhaltensweisen und Einflussfaktoren „negativ auf körperliche Gesundheit, schulische Entwicklung, Konfliktbewältigung und gesundheitsrelevante Verhaltensweisen“ (1) auswirken.

Das Bundesministerium für Gesundheit beschreibt in der Strategie der Bundesregierung zur Förderung der Kindergesundheit das Handlungsfeld „Prävention und Gesundheitsförderung ausbauen“. Initiativen wie „IN FORM“ sollen helfen, Fehlernährung vorzubeugen. Außerdem soll der Nichtraucherschutz gefördert und problematische Formen des Alkoholkonsums gezielt bekämpft werden (2).

Mit dem Präventionsgesetz wurde 2015 die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, dass „bestehende […] Gesundheits- und Früherkennungsuntersuchungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene weiter entwickelt werden. Künftig soll ein stärkeres Augenmerk auf individuelle Belastungen und auf Risikofaktoren für das Entstehen von Krankheiten gelegt werden“ (3).

Der BVKJ und der VBE fordern: Zusätzlich zu den regelmäßigen Untersuchungen bei dem Kinder- und Jugendarzt müssen Schülerinnen und Schüler Angebote zur Gesundheitsprävention erhalten. Die Lehrkräfte können dies nicht zusätzlich leisten. Schulgesundheitsfachkräfte sollen präventive Angebote anbieten und tragen damit zu einer gesünderen Lebensweise der Schülerinnen und Schüler bei.

Die Empfehlung der WHO zu Schulgesundheitsfachkräften

Die Weltgesundheitsorganisation unterstützt mit dem „European framework for quality standards in school health services and competences for school health professionals“ (4) die Mitgliedsstaaten, Schulgesundheitsservice als Teil ihres nationalen Gesundheitssystems zu entwickeln und weiter auszubauen. Außerdem ist es ein Baustein, um das Rahmenkonzept „Gesundheit 2020“ für eine Gesundheitspolitik in der Europäischen Region zu füllen. Mit diesem werden folgende Ziele verfolgt: „[…] erhebliche Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden der Bevölkerung, Abbau von Ungleichheiten im Gesundheitsbereich, Stärkung der öffentlichen Gesundheit und Gewährleistung nachhaltiger bürgernaher Gesundheitssysteme, die flächendeckend sind und Chancengleichheit sowie qualitativ hochwertige Leistungen bieten“ (5).

Mit dem Rahmen werden die Qualitätsstandards beschrieben, die ein Schulgesundheitsservice haben sollte und was ein Experte der Schulgesundheit als Schlüsselkompetenzen besitzen sollte. Die Schulgesundheitsfachkräfte sollten demnach folgende Rolle einnehmen:

- sachkundig sein (durch entsprechende Ausbildung),

- Mitarbeiter (in einem multiprofessionellen Team),

- Manager (z. B. Organisationsstrukturen implementieren),

- Gesundheitsanwalt (für z. B. die Priorisierung von Gesundheit),

- lernend bleiben (also Verständnis für lebenslanges Lernen haben und selbst gebildet sein),

- professionell sein (entsprechend der Kinderrechte handeln und nicht diskriminierend arbeiten).

Zusammenfassung

Um der steigenden Zahl chronisch kranker Kinder in einem inklusiven Schulsystem begegnen zu können und alle Kinder ausreichend vor gesundheitsschädigendem Verhalten warnen zu können, ist es notwendig, in Deutschland flächendeckend bedarfsgerecht Schulgesundheitsfachkräfte einzusetzen. So können Lehrkräfte sich ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag widmen, Aufgaben der Gesundheitserhaltung und –wiederherstellung können fachkundigen Experten übertragen werden und die Eltern können ihre Kinder guten Gewissens trotz chronischer Erkrankungen an Schule und schulischen Veranstaltungen teilnehmen lassen. Zudem wird so ein Zustand der Rechtssicherheit bei der Assistenz von Medikamenteneinnahme geschaffen.

Das momentan stattfindende Pilotprojekt in Brandenburg und Hessen beobachten wir intensiv. Wir sind jedoch der Meinung, dass es schneller dazu kommen muss, die Ergebnisse auf andere Bundesländer zu übertragen und flächendeckend bedarfsgerecht Schulgesundheitsfachkräfte einzustellen.

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte und der Verband Bildung und Erziehung (VBE) fordern daher mit Nachdruck dazu auf, dass:

- entsprechende Aus-, Fort- und Weiterbildungsgänge entsprechend des in dem Modellprojekt erarbeiteten Curriculums angeboten werden,

- ein Konzept zur Finanzierung von Schulgesundheitsfachkräften vorgelegt wird,

- Schulgesundheitsfachkräfte flächendeckend bedarfsgerecht in Deutschland eingeführt werden und im Rahmen der Bildung multiprofessioneller Teams zwingend berücksichtigt werden.


1 http://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/126.php
2 Vgl. http://www.bmg.bund.de/themen/praevention/kindergesundheit/kindergesundheit.html
3 http://www.bmg.bund.de/ministerium/meldungen/2015/praeventionsgesetz.html
4 http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0003/246981/European-framework-for-quality-
standards-in-school-health-services-and-competences-for-school-health-professionals.pdf
5 http://www.euro.who.int/de/health-topics/health-policy/health-2020-the-european-policy-for- health-and-well-being/about-health-2020


www.bvkj.de
www.vbe-nrw.de

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